Freude in Diplomatenkreisen. Ein Jahr nach der Wahl von Hassan Rouhani zum Präsidenten des Iran ist das Verhältnis zum Westen – nahezu – freundschaftlich geworden. Hassan Rouhani wird als „Reformist“ gepriesen; die Presse sieht ihn als Antithese zu Ahmadinedschad, bekannt für seinen kriegerischen Tenor und scharfen Antisemitismus. Unmittelbar nach seiner Wahl zeigte sich Rouhani, offensichtlich gut beraten, zu weitreichenden Verhandlungen über das Nuklearprogramm bereit, um die Aufhebung der schwer auf der iranischen Wirtschaft lastenden Sanktionen zu bewirken.
Nach Aussage des iranischen Außenministers Mohammed Dschwad Sarif sind die Nuklearverhandlungen in Genf „schwierig“, kommen jedoch voran, genau wie die Gespräche mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), der erneut die Möglichkeit eingeräumt wurde, „sensible“ Standorte im Iran zu prüfen. In den Medien wurde über diese heiklen Verhandlungen und die spektakuläre Verbesserung der Beziehungen zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten ausführlich berichtet; man denke nur an die unzähligen Meldungen über das historische Telefongespräch zwischen dem iranischen und dem US-Präsidenten im September 2013, das sofort als Aufbruch in den internationalen Beziehungen gewertet wurde. Leicht getrübt wurde die auftauende Stimmung lediglich durch die Ernennung des neuen UN-Botschafters der Islamischen Republik Hamid Aboutalebi, der unter Verdacht steht, am Geiselnahmekonflikt 1979 beteiligt gewesen zu sein.
Kurz vor dem ersten Jahrestag der Präsidentschaft Rouhanis schien dieses verbesserte diplomatische Klima für die internationale Gemeinschaft als ausreichend betrachtet worden zu sein, um dem iranischen Präsidenten mittels Lockerung der Sanktionen implizit ein Zeichen der Zustimmung zu geben. Dass der Iran im Konzert der Nationen wieder in höherer Gunst steht, konnten nicht einmal die Syrienkrise und die eindeutige Unterstützung des Regimes von Baschar al-Assad ernstlich abschwächen. Auch bezüglich der Lage der Menschenrechte im Iran hat die internationale Gemeinschaft ihre Augen verschlossen, obgleich sie von dem Bild der Toleranz und Moderation, das der Präsident des Iran gegenüber den internationalen Medien zeichnet, weit entfernt ist.
Hinrichtungen, Folter und Inhaftierungen sind im Iran heute genauso an der Tagesordnung wie in Zeiten von Ahmadinedschad
Den iranischen Präsidenten zu seinen diplomatischen Erfolgen zu beglückwünschen, heißt, zu übersehen, dass sich seit seiner Wahl die Lage im Land kaum, wenn überhaupt, verändert hat. Die aufkeimende Hoffnung nach dem Wahlsieg Hassan Rouhanis wurde nicht im Geringsten durch konkrete Ergebnisse bestätigt. Hinrichtungen, Folter und Inhaftierungen sind im Iran heute genauso an der Tagesordnung wie in Zeiten von Ahmadinedschad und die zahlreichen Wahlversprechen Rouhanis bezüglich Rechtsstaat, Presse-, Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind wirkungslos verhallt.
Das Recht auf einen gerechten Prozess wird immer wieder verletzt, Drogenhandelsdelikte werden häufig mit der Todesstrafe abgeurteilt. Tausende von Personen – darunter viele Mitglieder ethnischer Gemeinschaften wie Belutschen, Kurden und Araber – füllen die Todeszellen der iranischen Gefängnisse. In zahlreichen Fällen wurden Todesurteile ohne jegliche Transparenz und Registerführung häufig sogar öffentlich vollstreckt. Mit mehr als 700 Hinrichtungen, darunter von Minderjährigen in mindestens 8 Fällen, ist im Zeitraum der letzten zehn Jahre 2013 als ein Rekordjahr zu bezeichnen. 2014 scheint mit 330 Hinrichtungen seit Jahresbeginn, darunter von 7 Minderjährigen, demselben Trend zu folgen.
Die Freilassung einiger politischer Gefangenen – darunter unseres Kollegen Nasrin Soutodeh, Menschenrechtsanwalt und Sacharow-Preisträger 2012 – im September 2013 sollte die internationale Gemeinschaft nicht davon ablenken, dass viele aus Gesinnungsgründen Inhaftierten weiterhin im Gefängnis sind und unzählige neue Verhaftungen stattfinden. Im Iran sind heute gewiss 1000 politische Gefangene und Gesinnungshäftlinge hinter Gittern, darunter die beiden FIDH-Mitglieder, Abdolfattah Soltani und Mohammad Seifzadeh, sowie andere Menschenrechtsverfechter wie Bahareh Hedayat, Mohammad Seddigh Kaboudvand und Reza Shahabi Zakaria. Über 130 Anhänger der Bahai-Religion sind rein aufgrund ihres Glaubens inhaftiert. Etwa 50 zum christlichen Glauben übergetretene Personen, eine Vielzahl von Sufis (Derwische), sunnitische Muslime und andere werden ebenfalls aus Glaubensgründen festgehalten. Viele Gefangene im Evin und Rajaishahr-Gefängnis sind verschiedenen Arten der Folter und Misshandlungen ausgesetzt.
Im Gegensatz zu den Wahlversprechen Rouhanis ist eine systematische Einschränkung der Pressefreiheit festzustellen. Zahlreiche Publikationen wurden eingestellt oder an ihrem Erscheinen gehindert, darunter die reformorientierten Zeitungen Asseman, Ghanoon und Bahar. Dem seit den Wahlen 2009 verbotenen Journalistenverband wurde immer noch nicht gestattet, seine Tätigkeit wiederaufzunehmen. Die Unterdrückung sozialer Proteste erreichte einen Höhepunkt und führte zur Verhaftung zahlreicher Gewerkschafter.
Unter der Kontrolle des Obersten Führers
Anwälte, Journalisten und Akademiker sind die Hauptleidtragenden dieses starren Regimes, das zu keiner Veränderung fähig zu sein scheint. Es wäre übertrieben, die Schuld an den derzeitigen Repressionen ausschließlich Hassan Rouhani anzulasten, da die Regierung weitgehend unter dem Einfluss des eigentlichen Staatsoberhaupts Ajatollah Chamene’i steht. Der Oberste Führer, der alle drei Staatsgewalten einschließlich der Exekutive kontrolliert, hat niemals einen Hehl daraus gemacht, dass er politische Reformen ablehnt und damit dem neu gewählten Präsidenten wenig Handlungsspielraum freilässt. Die Judikative ist allein C’hamenei gegenüber rechenschaftspflichtig und fühlt sich nicht veranlasst, ihre Politik in puncto Grundfreiheiten zu ändern. Auch die Abgeordneten unterliegen einer strikten Kontrolle: nur „vorgesiebte“ Kandidaten können sich zur Wahl stellen. Die Auswahl erfolgt durch den Wächterrat, ein sehr konservatives Gremium, das sich zur Hälfte aus vom Obersten Führer persönlich bestellten und zur anderen Hälfte von der Judikative handverlesenen Mitgliedern zusammensetzt.
Hassan Rouhani trägt daher nicht die alleinige Verantwortung für die politische und wirtschaftliche Sackgasse im Iran. Dennoch ist der iranische Präsident nicht ohne Handhabe, die repressive Politik zumindest ein klein wenig zu ändern, wovon er jedoch bisher Abstand genommen hat. Seine Wahlversprechen, die Medienzensur abzumildern und mehr Gewerkschaftsarbeit zuzulassen – Bereiche, die in die Zuständigkeit des Präsidenten fallen, wurden bisher nicht umgesetzt.
Mit seiner öffentlich zum Ausdruck gebrachten Skepsis bezüglich der Kernenergieabkommen mit den westlichen Staaten ließ Ali Chamene’i seine Muskeln spielen und begann de facto einen Machtkampf mit Hassan Rouhani, der zur Wiederankurbelung des Wirtschaftsapparats auf diese Verhandlungen zählte. Wenn Rouhani über das diplomatische Figurenspiel in seinem ersten Amtsjahr hinaus auf ein wirklich erfolgreiches Präsidialmandat Wert legt, muss er nicht nur für die Aufhebung der Sanktionen und Belebung der iranischen Volkswirtschaft sorgen, sondern auch die Verfassung (selbst eine undemokratische) stärken und das Quentchen Legitimität nutzen, die ihm das iranische Volk bei den Wahlen im vergangenen Jahr übertragen hat, um das Regime dazu zu bringen, auf ein Mindestmaß an Menschenrechten zu achten. Die Einhaltung dieser Pflicht und dieses Versprechens steht noch aus.